Aquaretum Zürichsee Das neue Wasserspiel auf dem Zürichsee
Zürichs neu geschaffenes Wasserspiel Aquaretum
Als 2018 das revisionsbedürftige Wasserspiel Aquaretum beim
Hafen Enge seinen Betrieb einstellen musste, beauftragte die Zürich
Versicherungs-Gesellschaft AG die Fischer Architekten AG, dem Wahrzeichen der
Stadt eine neue Gestalt zu verleihen. Mit einer durch seismische Wellen
bewegten Wasserkuppel schuf der Klangkünstler Andres Bosshard einen
überzeugenden Entwurf für das neue Wasserspiel, der seither von einem
interdisziplinären Team ausgearbeitet wurde.
Seit dem 15. Mai 2019
kann das Wasserspiel von den
Züricher Promenaden aus betrachtet werden.
Zwölf gewölbte Wasserstrahlen bilden zwischen Himmel und Wasser über dem
Zürichsee eine Kuppel, deren Gestalt und Größe sich stetig wandelt. Die Impulse
dafür liefern die Erdschichten der Region durch ihre seismischen
Grundschwingungen. So bekommt der Grund der Stadt Zürich eine Stimme, die in
schwimmenden und schwingenden Formen in einen Dialog mit dem Betrachter tritt.
Sie erzählt wie z.B. die Meereswellen an der Atlantikküste kontinuierlich den
Boden erschüttern. Plötzlich, heftig, und manchmal nur wenige Sekunden lang,
bildet das Wasserspiel lokale oder weit entfernte Erschütterungen der äußeren
Erdkruste ab. Unter diesem Link sehen Sie in der
untersten Spalte unser Live-Signal.
Betriebszeiten:
Zur Unterstützung des Energiesparens im Winter läuft der Brunnen im Normalbetrieb jeweils SA/SO zwischen 12-20h.
Die übrige Zeit läuft der Brunnen im sogenannten Pausenbetrieb = die Strahlhöhe ist auf ca. 8m begrenzt und es gibt keine dynamische Bewegung.
Die Wasserstrahlen des Wasserspiels neigen sich paarweise einander zu, bilden dabei von der Seite betrachtet einen gemeinsamen Parabelbogen. Das dreistöckige Kreuzgewölbe aus Wasser entsteht dadurch, dass jeweils vier der zwölf Wasserdüsen synchron betrieben werden. Die unterste Kuppel reagiert am unruhigsten. Die mittlere Kuppel interpretiert einen ähnlichen Bewegungsimpuls, nur etwas gemächlicher. Die oberste Kuppel, die dem Wasserspiel ihre Kontur gibt, ist die ruhigste. Die drei Kuppeln sind sich nie ganz einig, ihre Bewegungen sind immer unerwartet und sie wiederholen sich nicht. Der Charakter der Kuppeln ist unendlich-einmalig und zugleich rätselhaft, wie Baumkronen im Wind. So wird auch das seismisch gesteuerte Brunnenbild ständig von den Seewellen und dem Wind belebt.
Bei Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich das Aquaretum in ein Lichtobjekt. In den Kugeldüsen versteckte Taucherleuchten verleihen den Wasserstrahlen im unteren Bereich eine selbstleuchtende Wirkung. In der Höhe werden Strahlen und Gischt zudem durch zwölf Außenleuchten illuminiert. An den wichtigsten Feiertagen erscheint das Aquaretum in einer einzigartigen Färbung. Zu später Stunde stellt das Wasserspiel seinen Betrieb ein.
Die Grundarchitektur der Strahlenkuppel
Die Architektur des Wasserspiels lässt sich wohl am besten vom Grundelement des
Doppelbogens beschreiben: Zwei seismisch bewegte Wasserstrahlen spielen sich
gegenseitig Wasser zu. Zu Beginn bildet sich ein glasklarer, lichtführender,
stabiler Wasserbogen, der ab 10m Höhe allmählich aufzubrechen beginnt. Er
behält aber bis über den Scheitelpunkt hinaus eine klare Form. Beim Herabfallen
löst sich der Wasserstrahl nach und nach in einzelne Wassertropfen auf und
erzeugt einen stiebenden Wasserschweif. Ganz in der Nähe des Ortes, wo die
Gischt ins Wasser trifft, befindet sich der Ursprung des zweiten Strahls, der
das Wasser wieder hinaufschießt. Aus den zwei über Kreuz gestellten Doppelbögen
entsteht eine Kreuzkuppel. Drei solcher Kreuzkuppeln schweben übereinander. Die
Fundamente der drei Kuppeln stehen - um Kollisionen zu vermeiden- leicht
versetzt in den vier Ecken eines Quadrats.
Die dynamische Gestalt des Wasserspiels
Um zwölf ständig von höchst unberechenbaren
Naturereignissen erregte Wasserstrahlen in ein ausgewogenes Wasserspiel
zu
bringen, hat die Metallatelier GmbH ein funktionierendes Modell im
Maßstab 1:10
gebaut. Mit kompositorischem, choreografischem und steuerungstechnischem
Wissen
entwickelte das Künstlerteam eine Bewegungsverwandtschaft zwischen den
drei
Kuppeln, damit sie sich mit möglichst wenigen Kollisionen eigenständig
bewegen
können und doch stets die klare Gesamtgestalt des Wasserspiels erhalten
bleibt. Parallel zur räumlichen Anpassung wurde die Erfassung
und Interpretation des seismischen Signals verfeinert. Bei laufendem
Versuchsbetrieb konnten die Charakteristika der Erdbewegungen erkundet
werden
und in den Steuercomputer zur Bewegung des Wasserspiels eingespeist
werden. Der
Programmierer Olaf Matthes setzte die künstlerischen Anforderungen
mittels MAX
MSP in ein fein justierbares Programm um, welches zwischen Seismometer
und der
BECKHOFF Industriesteuerung für die Pumpen geschaltet ist. Jetzt beginnt
das
Aquaretum zu leben. Es streckt sich, es duckt sich, es sprüht
Wassersterne, die
immer dort aufblitzen, wo sich zwei oder drei Wasserstrahlen direkt
treffen. Erst
durch die Bewegung konnte die Feinjustierung erarbeitet werden: Wie
richtet man
die Strahlwinkel ein? Wie verdreht man die Kuppeln? Und welche muss die
unterste Kuppel sein, wenn man sie mit welchem Signal steuert?
Von der Erdbewegung zur Brunnenchoreografie
Der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich sendet das Signal der Messstation„ZUR“
in die Brunnenkammer in der Enge. Gemessen wird auf dem Zürichberg mit einem
Breitbandseismometer. Einzig der Frequenzbereich unterscheidet die Daten von
einem üblichen Audiostream. Dank der hohen Sensibilität des Messgeräts bewegt
sich das Aquaretum auch durch feinste Bewegungen der Erde, welche als
Bodenunruhe bezeichnet werden. Die Erde ist vergleichbar mit einer riesigen
Glocke, schlägt man sie kräftig an, klingt sie bis zur Dauer einer Woche nach.
Zur Belebung des Wasserkunstwerks eignen sich die Frequenzen mit einer
Wellenlänge zwischen einer Sekunde und einigen Minuten am besten. Das Programm
von Olaf Matthes pegelt das Signal ein, filtert, verstärkt und komprimiert es,
und gibt es schließlich in drei Umrechnungen an die BECKHOFF Industriesteuerung
aus. Die mittlere Kuppel wird durch das Eingangssignal des Sensors bewegt.
Dieses Signal visualisiert die Geschwindigkeitsschwankungen der Bewegung der
äußeren Erdkruste. Die innere Kuppel hingegen, wird durch die
Beschleunigungsschwankungen dieser Bewegung gesteuert. Diese Werte errechnen
wir anhand des Eingangssignals. Die ruhigen Bewegungen der äußeren Kuppel
schließlich zeigen die Schwankungen des durch die Erdbewegung zurückgelegten
Weges. Auch diese Kurve wird aus dem seismischen Eingangssignal abgeleitet. Da
die drei Kuppeln zwar mit drei unterschiedlichen Werten, jedoch mit Werten,
welchen dieselben Ereignisse zugrunde liegen, gesteuert werden, ist die
Charakteristik ihrer Bewegungen zugleich verschieden und verwandt. Es gibt
dreiachsige seismische Messsysteme, welche die Erdbewegungen 1. der
Nord-Süd-Achse, 2.der Ost-West-Achse und 3. der Vertikalen getrennt messen.
Wenn man das Wasserspiel damit steuerte, erschiene es jedoch unharmonisch- so
als ob die drei Instrumentalisten eines Trios drei unterschiedliche Stücke
zugleich spielten. Für das Aquaretum verwenden wir ein auf der Vertikal-Achse
gemessenes Signal der Erdbewegung.
Vom Signal zum Wasserstrahl
Der „ZUR“-Sensor steht in einem ca. 4 Meter tiefen Schacht, direkt in der
Molasse des Zürichbergs. Am Schachtgrund wurde ein 40 Zentimeter hohes
Betonfundament gegossen. Darauf steht die Breitbandstation mit einem
„Streckeisen STS2_Gen3“-Sensor. Dieser sehr hochwertige Sensor kann feinste
Bewegungen in einen weiten Frequenzbereich abbilden. Bis zu einer Wellenlänge
mit Periode 120 Sekunden nimmt die Empfindlichkeit des Sensors nur wenig ab.
Mit weiter steigender Wellenlänge sinkt die Empfindlichkeit des Sensors. In
Abhängigkeit zur seismischen Geräuschkulisse können an einem solchen Sensor bei
optimaler Filterung sogar die Erdgezeiten abgebildet werden, was einer
Wellenlänge mit Periode von 12 Stunden und 24 Minuten entspricht. Wobei die
Amplituden der von uns verwendeten Wellen eher im Mikrometerbereich liegen und
die Erdgezeiten Bewegungen im Dezimeterbereich verursachen.
Es ist schwer zu sagen, was genau jeweils die Quelle einer Schwingung ist. In dem für das Aquaretum genutzten Frequenzbereich zwischen 0.5 und 0.005 Hz (also eine Periode von 2 bis 200 Sekunden) spielt Wetter und Jahreszeit über dem Atlantik eine große Rolle. Bei sieben Sekunden liegt der sogenannte «Meeresmikroseismische Peak» – das sind Ozeanwellen, die auf Küsten treffen. Deren Stärke ändert sich auch mit dem Wetter. Fernbeben fallen ebenfalls in diesen Bereich, aber auch die Oberflächenwellen von manchen Beben aus der Schweiz sollte man mit Perioden bis zu einigen Sekunden sehen können. Ebenso vermutlich auch Teile des Bahnverkehrs im Tunnel.
Das Erscheinungsbild des Aquaretums
Die 120 cm großen Kugeldüsen aus 8 mm starkem
Edelstahl sind die einzig beständig sichtbaren Elemente. Sie dienen als
Schwimmkörper für die ca. 30 Tonnen schwere Gesamtkonstruktion, beinhalten die
Wasserstrahl-Beruhigung und beherbergen die Wasserstrahl-Innenbeleuchtung. An
jeder Ecke des 16m großen Quadrates bilden drei Kugeln ein gleichseitiges
Dreieck. Die Eckkugeln erzeugen die höchste Kuppel und zeigen den Weg. Die
rechten Kugeln bilden die mittlere Kuppel und zeigen die Geschwindigkeit, die
linken Kugeln bewegen sich auf der niedrigsten Ebene und zeigen die
Beschleunigung. Die unterste Kuppel reagiert am agilsten. Ihre steigenden und
sinkenden Bewegungen folgen der Beschleunigung. Die mittlere Kuppel
interpretiert den gleichen Bewegungspuls etwas gemächlicher und verfolgt die
Geschwindigkeit. Die oberste Kuppel, die dem Aquaretum ihre Gestalt gibt, ist
die ruhigste, sie interpretiert den Weg des seismischen Signals. Bei
seismischen Ereignissen erreicht das Wasserspiel eine Höhe von bis zu 30
Metern.
Eine langjährige Zusammenarbeit
Die Geschichte der Zusammenarbeit zwischen dem Klangkünstler Andres Bosshard
und David Fuchs von der Metallatelier GmbH reicht bis in das Jahr 1999 zurück.
Die Themen waren und sind Wasser, Klang, Wellenbilder, Computersteuerungen im
künstlerischen Kontext, für permanente Installationen und Interventionen im
öffentlichen Raum. Erkenntnisse aus realisierten Projekten inspirieren
gegenseitig bei der Umsetzung aktueller Projekte – eigenständig oder im Team
realisiert.
Fakten
- Auftraggeber
- Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
- Gesamtleitung, Koordination, Konzeption
- Fischer Architekten AG
- Kunst, Konzept
- Andres Bosshard
- Künstlerisch-technische Umsetzung
- Metallatelier GmbH
- Fachplaner Wasserspiel
- Aqua Transform
- BECKHOFF Programmierung seismische Choreografie
- Olaf Matthes
- Seismischer Support
- Schweizerischer Erdbebendienst (SED) ETH Zürich
- SIEMENS Programmierung Maschinensteuerung
- Insoft Systems AG
- Schwimmkonstruktion; Planung & Fertigung
- Neuweiler AG
- Wasserbau Seemontage
- Willi Steubli Ing. AG
- Elektrotechnik
- Hans K. Schibli AG
- Druckbehälterbau - Kugeldüse
- B.Beger GmbH
- Berechnung - Druckstatik
- HFR Ingenieure GmbH
- Support vor Ort
- Bootsvermietung Enge
- Strahlinnenbeleuchtung
- Hartenberger Unterwassertechnische Geräte GmbH
- Berichterstattung
- Klaus W. König